Brexit und die Folgen

Zur aktuellen Diskussion über das britische Referendum

Der Brexit beschäftigt zurzeit alle. Wir haben unseren Experten gebeten, die wichtigsten Fragen zu beantworten.

Der Markt reagierte um den Referendum-Termin sprunghaft. Erst schien der BREXIT eingepreist, dann stiegen die Kurse kurz vor der Abstimmung stark an, um mit der Entscheidung für den Ausstieg um bis zu 10 Prozent zu fallen. Was erwartet uns in den nächsten Tagen und Wochen?

 

Im Vorfeld des EU-Referendums legten die Börsen weltweit in Erwartung eines positiven Votums bereits stark zu. Daher wurde der Markt nach dem überraschenden Sieg der BREXIT-Befürworter auch umso stärker auf dem falschen Fuß erwischt. Das britische Pfund wertete um über 10 Prozent ab und stürzte auf den tiefsten Stand seit über 30 Jahren. Aber auch der Euro und die skandinavischen Währungen kamen unter Druck. Die Aktienmärkte verloren zu Handelsbeginn, wie zuletzt in der Finanzkrise, teilweise zweistellig und konnten sich im Tagesverlauf wieder leicht stabilisieren. Einzig die als typischerweise geltenden „sicheren Häfen“ Yen und Franken sowie das Gold konnten zulegen.

Auch die folgenden Tage blieben mit starken Kursbewegungen äußerst unbeständig. Kurzfristig ist weiter zu erwarten, dass sich viele Anleger aufgrund der bestehenden politischen Unsicherheit über den Verlauf des Austritts zunächst aus Aktien und anderen risikobehafteten Anlagen zurückziehen bzw. neue Käufe zunächst zurückstellen. Anschließend dürften sich die Märkte neu sortieren. Der Auftakt einer neuen Weltfinanzkrise, wie von vielen Pessimisten prophezeit, wird uns aber unserer Meinung nach nicht bevorstehen.  Das britische „No!“ zur EU ist nicht zu vergleichen mit der Pleite der Lehman-Bank in 2008.

Laut Handelsblatt verliert die Europäische Union mit dem BREXIT knapp 20 Prozent ihrer Wirtschaftskraft und 13 Prozent ihrer Arbeitnehmer? Wo werden die Auswirkungen auf die europäische und vor allem die deutsche Wirtschaft am stärksten sein?

Nach der Entscheidung der Briten für einen EU-Austritt erwarten Ökonomen gravierende wirtschaftliche Einbußen in Europa. Am schmerzhaftesten werde der BREXIT die Briten aber selbst treffen, urteilte zum Beispiel die Bertelsmann-Stiftung. Demnach erwartet man einen Einbruch des britischen Bruttoinlandsprodukts bis 2030 um bis zu 14 Prozent. Bereits in 2017 dürfte Großbritannien in die Rezession rutschen. Mehr als 50 Prozent seines Import- und Exportgeschäfts wickelte Großbritannien zuletzt mit EU-Mitgliedstaaten ab. Auch für die EU selbst werden daher Einbußen erwartet. So rechnet die Europäische Zentralbank (EZB) in ihren Wachstumsprognosen mit einem Rückgang der wirtschaftlichen Leistung von 0,3 bis 0,5 Prozent in den kommenden drei Jahren.

Großbritannien ist insbesondere für deutsche Exporteure ein wichtiger Kunde. Der Austritt des Landes aus der EU kann Zölle und Steuern bringen und damit den Handel hemmen. Die deutsche Wirtschaft rechnet mit starken Einbußen und appelliert an Brüssel: keine schmutzige Scheidung, bitte! Daher wird jetzt entscheidend sein, wie die Verhandlungen zwischen London und Brüssel verlaufen und auf welches Austrittsmodell beide Seiten sich verständigen. Hier kommen mehrere Szenarien in Frage:

 

SZENARIO 1

Im besten Fall finden Großbri­tan­nien und die EU-Länder zusammen eine Lösung, die die Verluste auf beiden Seiten so gering wie möglich hält. Dies könnte zum Beispiel nach der Norwegen-Regelung erfolgen: Trotz eines EU-Austritts würde Großbri­tan­nien durch den Europäi­schen Wirtschafts­raum (EWR) im europäi­schen Binnen­markt vertreten sein. Vorteile hätte diese Regelung beson­ders für Unter­nehmen, die im EU-Raum agieren. So würde sich an den Handels­ver­ein­ba­rungen wenig ändern. Wie Norwegen müsste auch Großbri­tan­nien in die Gemein­schaft einzahlen. Bei der Rechts­set­zung der EU dürfte Großbri­tan­nien aber nicht mehr mitreden.

 

SZENARIO 2

Das zweite Szenario wäre eine Regelung nach dem Vorbild der Schweiz. Koppelt sich Großbri­tan­nien von der EU ab, könnte ein Freihan­dels­ab­kommen nach dem Schweizer Modell verein­bart werden. Die Wirtschafts­be­zie­hungen mit der Schweiz werden in 120 Abkommen geregelt, die einen direkten Zugang zum EU-Binnenmarkt ermög­li­chen. Es würde nicht nur Jahre dauern, die Verträge für Großbri­tan­nien aufzu­setzen, auch mit Handels­hemm­nissen ist zu rechnen.

 

SZENARIO 3

Das Schre­ckens­sze­nario: Die Europäer wären wenig kompro­miss­be­reit. Ein Freihan­dels­ab­kommen hätte keine Chance, und die Binnen­markt­re­geln würden verfallen. Der Handel würde dann wegen der Zölle richtig teuer werden – insbe­son­dere für Großbri­tan­nien. Denn für die Briten ist der EU-Markt sehr viel wichtiger als Großbri­tan­nien für die aller­meisten EU-Mitgliedstaaten. Aber auch auf deutsche Automo­bil­un­ter­nehmen mit Produk­ti­ons­stätten in Großbri­tan­nien würden höhere Kosten zukommen.

 

Für die deutsche Wirtschaft steht also viel auf dem Spiel. Großbritannien ist als Handelspartner extrem wichtig. 2015 exportierte Deutschland Waren im Wert von 89,3 Milliarden Euro auf die Insel, das sind 7,5 Prozent aller Ausfuhren. Allein 29 Milliarden Euro entfielen auf die Autobauer, weitere 8,8 Milliarden auf die Maschinenbauer und 7,2 Milliarden Euro auf die Pharmabranche. Im Gegenzug beliefen sich die Einfuhren aus Großbritannien auf 38,3 Milliarden Euro, das entspricht vier Prozent aller Importe. Damit ist Großbritannien der fünftwichtigste Handelspartner Deutschlands. Besonders negativ durch die BREXIT-Entscheidung betroffen sind nach Angaben des Industrieverbandes BDI insbesondere die Branchen Auto, Energie, Telekommunikation, Elektronik und Metall.

In einem sind sich alle Industrievertreter einig: Die Verhandlungen sollen bitte so schnell wie möglich abgeschlossen werden. Denn nichts ist schädlicher für Investitionen und wirtschaftliche Dynamik als Unsicherheit über die Rahmenbedingungen.

Auch 31 Prozent der Marktkapitalisierung am Aktienmarkt verabschieden sich aus der EU. Hat das im Zeitalter globalisierter Märkte eigentlich noch eine Bedeutung?

Das "Nein" der Briten zur Europäischen Union hat weltweit für Turbulenzen in der Finanzwelt gesorgt und Anlegern einen schwarzen Freitag beschert. Die Börsenkurse fielen oft im zweistelligen Bereich, und das von Asien über Europa bis hin in die Vereinigten Staaten. Summen in Billionenhöhe wurden so binnen Stunden vernichtet. Warum zum Beispiel auch die Börse in Tokio stark gefallen ist, erschließt sich dem Beobachter auf den ersten Blick nicht und kann daher nur mit der weltweiten Unsicherheit und Angst um die Weltwirtschaft erklärt werden. Im Zuge der Globalisierung ist es langfristig aber für die weitere Entwicklung an den Aktienmärkten unbedeutend, ob die Marktkapitalisierung der britischen Werte nun innerhalb oder außerhalb des EU Aktienmarktes liegt. Auch gibt es am Markt keine Indexprodukte, die sich speziell auf EU Zugehörigkeit konzentrieren. Hier wird vielmehr der „Schnitt“ zwischen europäischen Werten und Werten innerhalb des Euro-Raums gemacht. Beides wird durch das EU-Referendum Großbritanniens nicht tangiert.

Langfristig stellt sich vor allem die Frage über die Zukunft Europas. In einigen Jahrzehnten wird man verstehen, was heute passiert ist. Sollte die EU daran zerbrechen, haben die Briten vielleicht nur als Erste die Entwicklung verstanden. Was tatsächlich passieren wird hängt stark am Gestaltungswillen und der Verantwortung der Politik. Die immanenten Konflikte und Widersprüche zwischen globalen Märkten, nationaler Souveränität und demokratischer Legitimation müssen dringend beantwortet und gelöst werden, um die historisch hohen Kosten von Re-Nationalisierung, Fragmentierung und Protektionismus zu verhindern. Bloße politische Rhetorik aus Brüssel wird daher in diesem Fall nicht ausreichen. Aktuell setzt sich der Wunsch, die Geschicke wieder in die eigene Hand zu nehmen, mehr und mehr durch. Egal, ob das angesichts der globalisierten Märkte nun eigentlich sinnvoll ist oder eben nicht.

 

Auf was sollten Anleger in den nächsten Wochen besonders Wert legen?

“Keep calm and carry on!” Frei übersetzt: “Ruhe bewahren und weitermachen.” So oder so ähnlich könnte das Motto der nächsten Wochen lauten! Anleger sollten sich im Zuge der nach wie vor anhaltenden politischen Unsicherheit auf weiter schwankende Aktienmärkte einstellen. Für langfristig orientierte Investoren bieten derlei Kursrückschläge allerdings gute Möglichkeiten sich wieder relativ günstig an erstklassigen und substanzstarken Unternehmen zu beteiligen. Denn die politischen Auswirkungen des EU-Ausstiegs der Briten wiegen deutlich schwerer als die ökonomischen, die nach wie vor langfristig das Auf und Ab an den Börsen bestimmen.

Der aktuellen Marktphase mit stark schwankenden Aktienmärkten auf der einen Seite und niedrigen Zinsen auf der anderen Seite sollten Anleger je nach eigener Anlagementalität mit breit aufgestellten Depots, zu denen neben Aktien auch Unternehmensanleihen sowie Gold gehören können, begegnen. Daneben bieten sich natürlich auch Produktlösungen, die mit einem aktiven Management alle bestehenden Anlagemöglichkeiten kombinieren.

Die MVB behält alle aktuellen Veränderungen und langfristigen Entwicklungen im Auge, sodass wir eine umfassende und zielführende Beratung leisten können. Hier können Sie sich von einem unserer Kundenberater über aktuelle Anlagemöglichkeiten informieren und beraten lassen. Gerne überprüfen wir zusammen mit Ihnen auch Ihre bisherige Anlagestrategie und erarbeiten eine zielgerichtete Entwicklung für die Zukunft. Denn Ihre individuelle Anlagementalität sowie Ihre persönlichen Zielen und Wünschen sind der maßgebliche Faktor, der Ihre Anlagestrategie bestimmen sollte.


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